Die Entdeckung der Langsamkeit

Immer wieder trifft mich in den letzten Wochen derselbe Satz – aus verschiedenen Quellen: „Wer willst du nach Corona sein?“

Es geht nicht um Selbstverbesserung. Dazu kann ich nur sagen:

Nein, es geht tatsächlich darum, wer ich sein will. Was mich ausmacht. Was des Pudels Kern ist.
Corona zerrt an mir. Vielleicht erlaube ich ihm (ihr?) ja, mich tatsächlich aufzuzehren und so schließlich das Wesentliche freizulegen.
Warum eigentlich nicht? Es wird schon nichts Wesentliches dabei verloren gehen.

Das hamsterradmäßige Abarbeiten von To-Do-Listen und das krankhafte Anklicken von Schlagzeilen jedenfalls darf sehr gerne aufgezehrt werden.
Was denke ich mir eigentlich dabei, wie eine Maschine zu funktionieren? Was verspreche ich mir davon? Als ob es mir selbst oder irgendwem sonst irgendetwas bringen würde, abgesehen von der völlig unnötigen Illusion irgendeiner tristen Normalität.

Auch stoße ich momentan immer wieder auf Juliana von Norwich, die während einer mittelalterlichen Pestwelle schwer erkrankte, überraschend überlebte und für den Rest ihres Lebens jahrzehntelang ausschließlich in einer kleinen Zelle lebte. Das möchte ich ihr nicht nachmachen. Aber mich faszinieren ihre tiefen, dichten Worte über Liebe, Güte und den allgegenwärtigen Christus immer wieder neu.

Noch eine Frau, die die Tiefe liebt, ist Julie Gautier, eine französische Apnoetaucherin. Dieses Video hat mich irgendwie tief berührt:

Was ist es, das mich da getroffen hat? Ich glaube, es ist die feierliche Langsamkeit. Die Schönheit der Bewegungen in ihrer schlichten, bewussten Intensität.
Gleichzeitig halte ich mit der Akteurin die Luft an. Wie lange geht das gut?
Aber es geht gut. Denn sie weiß, was sie tut. Und mit der Zeit höre ich auf, meinen Atem festzuhalten, und lasse ihn wieder fließen. Gewöhne mich an das Ungewöhnliche. Richte mich in dem ein, was mich anfangs beunruhigte. Und siehe, das ist eine wunderbare Übung! Immer mehr Sorge fällt von mir ab. Immer ruhiger werde ich.

Danke, Apnoe!

Danke, Corona!

Ach, und wie viele Videos muss ich wohl noch gucken, um einfach etwas ruhiger zu werden, weniger kopf- und herzlos umtriebig? Ich will doch gar nicht irgendwo hin. Ich bin doch schon da.

Die allzu nachvollziehbare Sünde des Schweigens

Auch wenn wir das Gefühl haben, dass wir uns gerade in einer wichtigen Phase befinden, in der Weichen für die Zukunft gestellt werden – wir stecken trotzdem mittendrin und haben eigentlich keine Ahnung, was gerade passiert und was es langfristig für uns bedeuten wird. Wir haben es ja schon nicht kommen sehen. Wie sollen wir da wissen, was daraus werden wird?
In der Gleichzeitigkeit mit einem Ereignis, das ich (noch) nicht verstehe und das mich täglich beschäftigt, fühle ich mich überwiegend überfordert. Was ist richtig? Was ist falsch?
Gleichzeitig soll ich Entscheidungen treffen, für mich selbst und für Menschen um mich herum. Manche davon werden sich im Nachhinein als ‚richtig‘ erweisen, andere als ‚falsch‘.

Momentan muss sich oft an meine Großeltern denken. Wie auch sie in Kriegszeiten Entscheidungen treffen mussten. Nicht alle waren ruhmreich und glänzend. Aber davon weiß ich nur wenig. Denn die eher dunklen Episoden haben sie allesamt mit ins Grab genommen. Sie haben geschwiegen. Vielleicht aus Überforderung und Scham. Lange war ich wütend auf sie, wollte mehr erfahren, habe versucht, sie auszuquetschen und zu mehr Offenheit zu nötigen. Ihr müdes „Ach Junge….“ klingt mir jetzt noch in den Ohren. Ich fühlte mich nicht ernst genommen.
Inzwischen kann ich sie besser verstehen. Man möchte das Schwere, Traumatisierende, Beschämende nicht teilen, nicht noch einmal erleben. Es wird alles heruntergeschluckt.
Aber damit verschwindet es nicht. Es ist immer da. Alle miteinander wurden sie am Ende ihres Lebens noch einmal damit konfrontiert.

Ich würde es so gerne anders machen.

Zwangsgeburt

Gerade ist es bei mir ein ständiges hin und her, ein Wechselbad der Gefühle. So langsam kann ich mich etwas gegen das Trommelfeuer der Nachrichtenticker abgrenzen. Denn richtig viel verpasst man ja nicht durch Nachrichtenfasten. Es ist alles reine Mathematik.

Und es gelingt recht gut, sich Lebensfreude und Optimismus zu bewahren. Solange man nur alle paar Tage in den Supermarkt oder wie heute Morgen in den Baumarkt geht. Früher habe ich Einkäufe genossen – das langsame Schlendern durch die Gänge. Inzwischen ist der Einkaufswagen zum Abstandshalter geworden, Menschen fixieren einander nur kurz zum Zweck der Risikoeinschätzung, Personal wirkt ablehnend, frustriert und besorgt.

Aber sobald ich diese Trauer- und Angstorte wieder verlasse, kann ich neu aufatmen und das Leben, die Luft, die Weite genießen. Keine Menschenmengen, kein Stau, alles ruhig.

So vieles ändert sich gerade mit einem unglaublichen Tempo. Und – geben wir uns keiner Illusion hin – das alles wird Spuren hinterlassen. Vieles verändert sich. Letztendlich bedeutet das wohl nur eine Beschleunigung von Prozessen, die sowieso schon ablaufen: Onlinehandel, Videokonferenzen. Und das, was ich schon lange für das Hauptproblem unserer Gesellschaft halte, taucht nun mit Macht und unübersehbar auf: Die Einsamkeit.

Wer nicht vorher schon über ein stabiles, strapazierfähiges Netzwerk verfügte, wird jetzt, in der Krise, nicht so schnell eins etablieren können. Das habe ich schnell bei meinen anfänglichen Versuchen gespürt, mit anderen Kirchen zusammenzuarbeiten: Jeder macht lieber sein eigenes kleines Ding.

Vieles verändert sich: Einerseits die beschriebene Isolation, andererseits aber auch zaghafte Versuche, Bestehendes zu verändern, Neues auszuprobieren. Bestehende Kontakte anders zu nutzen, intensiver.

Und auch in der Arbeitswelt verändert sich vieles. Manche von denen, die Homeoffice ausprobieren, werden Gefallen daran finden. Menschen, die gegen jede noch so kleine Beschränkung ihrer Rechte auf die Straße gingen, akzeptieren plötzlich den Entzug beinahe jedes einzelnen Grundrechts. Klaglos. Aus Angst.

So vieles verändert sich. Was davon wird bleiben?

Jede Geburt ist auch mit Verwirrung verbunden. Unsicherheit. Schmerz. Am Ende kommt etwas Schönes dabei heraus. Aber dieses Wissen hilft einem unter der Geburt nichts. Da ist nur das, was eben jetzt an Reizen, Gedankenschnipseln da ist. Und niemand kann einem sagen, ob das alles gut ausgehen wird.

Vermutlich schon. Aber aktuell ist da eben diese Verwirrung und Orientierungslosigkeit. Weshalb Mensch auf jede noch so sinnlose Überschrift klickt, die sich auf PC oder Handy blicken lässt: Die Suche nach dem Ausweg, dem roten Faden. Aber da ist nichts.

Es hilft wohl nur eins: Bei sich selbst zu bleiben. Und bei dem, was trägt. Anstatt außer sich.

Corona macht alt

Heute wurde mir schlagartig klar, was Corona mit uns allen gerade macht – wenn wir nicht unbedingt gleichnamige Parties veranstalten oder uns anderweitig ignorant verhalten: Es macht uns zu Hochbetagten.

Wir sitzen den ganzen Tag zu Hause herum, machen und nur noch Gedanken über unsere Gesundheit, unsere Ausscheidungen (Klopapier) und das Essen (Nudeln und Mehl).
Nein, ernsthaft: Die sozialen Kontakte nehmen rapide ab. Wir lernen keine neuen Menschen kennen und sind auch nicht daran interessiert. Fremde betrachten wir misstrauisch. Wenn wir denn noch kommunizieren, dann mit Bekannten, am liebsten Altbekannten. Der Wahrnehmungsfokus verengt sich rapide.

Um nicht missverstanden zu werden: Ich mag alte Menschen – die meisten von ihnen. Ich respektiere sie, insofern sie die Herausforderungen des Lebens und des Alterns annehmen, sich den Aufgaben stellen. Dann mag ich es und es tut mir gut, in ihnen einen Weg für mich selbst zu erkennen und zu erspüren -in die Zukunft, das unentdeckte Land.

Es fühlt sich für mich gerade so an, als ob wir alle in einem Boot säßen. Chancengleichheit. Ein Blick in die Zukunft als Senior, als Hochbetagter. Eingeschränkt in mancher Hinsicht, aber mit wachem Geist. Und ich frage mich: Was kann ich tun, damit die mit dem Altern zwangsläufig einhergehende Isolation erträglich bleibt? Damit mein Leben mehr als eine boße Existenz sein wird, ein Absitzen von Tagen und Wochen? Wie wird es mir gelingen, mein Leben aktiv und genussvoll zu gestalten?

Es braucht Disziplin und Struktur. Aber auch Kreativität, Begeisterungsfähigkeit und den Willen, auch einmal über den Tellerrand zu blicken. Die Angst vor Videochats, neuen Apps, ungewohnten Kontaktmöglichkeiten zu überwinden. Wach zu bleiben. beziehungsweise immer und immer wieder aufzuwachen. Dran zu bleiben.
Ach, das wird interessant werden. Danke, Corona, du Zeitmaschine.

Die gekränkte Generation Yoga

Es ist eine Zeit der Umwälzungen und der Neuorientierung. Prioritäten verschieben sich. Selbstverständliches verschwindet aus dem Alltag, Ungewohntes taucht am Horizont auf, Ungewissheit ist plötzlich an der Tagesordnung. Bei manchem Menschen löst sich dadurch recht schnell die Zuckergussschicht auf, die ihr Leben zu Dekorationszwecken überzieht, so dass stattdessen etwas von dem zum Vorschein kommt, das sie eigentlich niemandem zeigen möchten, das vielleicht ihnen selbst oft gar nicht wirklich bewusst ist.
Und so kommt es, dass Personen, die im Alltag bisher eher achtsam, gesundheits- ernährungs- und umweltbewusst wirkten, auf einer gewissen Yoga-Wellness-Ebene auch spirituell interessiert und aktiv, plötzlich damit beschäftigt sind, ihrem Unverständnis und Unmut darüber Raum zu geben, dass immer mehr ihrer Freizeit- Zerstreuungsmöglichkeiten aktuell versiegen. Häufig wird es da sehr emotional. Der Postmodernismus scheint auf Einschränkungen und empfundene Bevormundung sehr aggressiv zu reagieren. Maßnahmen werden für unnötig und übertrieben erklärt, die Verantwortlichen für verrückt. Verschwörungstheorien und üble politische Motive werden unterstellt. Jede Art staatlicher Intervention wird als Freiheitsentzug und Eingriff in die persönlichen Grundrechte empfunden. Plötzlich sind Achtsamkeit, Verantwortung für z.B. ältere und kranke Menschen, gesellschaftliches Engagement überhaupt kein Thema mehr.

Dagegen zeigen die von dieser Personengruppe häufig geschmähten Kirchen ein ganz anders Bild. Oft freiwillig und mit großer selbstverständlichkeit sagen sie Veranstaltungen ab, organisieren Einkaufshilfen für ältere Menschen und informieren über Möglichkeiten, in Zeiten der Einschränkung Kontakt zu halten. Wie passt das zusammen?

Das schreibe ich nicht, um zu verurteilen oder zu bewerten. Ja, ich weiß, ich wandere auf einem schmalen Grat… Aber eigentlich bin ich mehr traurig als wütend und frage mich dabei, wie es sein kann, dass man so emsig an seiner ‚Entwicklung‘ (was auch immer das ist) arbeiten kann und dabei so Wesentliches übersieht. Und ja, da meine ich auch und zuallererst mich selbst. All diese blinden Flecken und Ungereimtheiten.

Es klingt vielleicht komisch, eventuell sogar zynisch – aber es kann doch sein, dass die Corona-Krise neben all dem Leid auch ein Umdenken bewirken kann. Einerseits das Besinnen auf die wesentlichen Dinge im Leben – jenseits von Konsum udn Zerstreuung. Andererseits die Erkenntnis, dass wir einander brauchen, dass niemand eine Insel ist, dass es gemeinsam und in echter Verbundenheit auch tatsächlich leichter, bunter, erträglicher ist.

Das macht diese erschreckende und verunsichernde Phase nicht zu etwas Gutem. Und niemand weiß, was da noch auf uns zukommt. Aber wenn wir dem Namenlosen, Unbekannten eine Spur von Sinn und Potenzial geben, wird das Grau vielleicht mit einem Spritzerchen Bunt garniert.

Der wirbelnde Tsunami der Gleichzeitigkeit

Ein italienischer Arzt schrieb neulich, die durch den Corona-Virus ausgelösten Ereignisse hätten ihn überrollt wie eine Tsunami-Welle. In etwas kleinerer Dimension ging es mir gestern so, als ich während einer Autofahrt die Nachricht erhielt, dass in unserer Stadt sämtliche öffentlichen Veranstaltungen bis 30.4. untersagt sind.
Zuerst die „nicht-wahrhaben-wollen“-Phase: Das gilt doch nicht für uns?! Darf der Staat die Durchführung von Gottesdiensten verbieten? Schnell wird mir aber bewusst: Es geht hier nicht um Sonderrechte und Barrikadenkampf gegen staatliche Maßnahmen. Es geht um gesellschaftliche Verantwortung. Letztendlich geht es um Mathematik: Wie die 25.000 landesweiten Intensivbetten die bis Mai prognostizierten 1,2 Millionen Erkrankten bewältigen können.
Es sind außergewöhnliche Zeiten, und dagegen sperrt sich mein Hirn, das lieber möchte, dass immer alles in gewohnten, bewältigbaren Bahnen läuft. Wir besprechen uns als Gemeindeleitung, ich kontaktiere Kollegen, Entscheidungen werden getroffen, deren Konsequenzen und Tragweite wir noch gar nicht absehen können. Sind sie übertrieben? Oder viel zu wenig? Wir wissen es nicht, können es nicht wissen. Die Ereignisse überrollen uns, fluten Herz und Hirn. Und das ist ja erst der Anfang.
Im Krieg wechseln sich kurze Phasen heftiger Betriebsamkeit, des Chaos und der Überforderung mit langen Phasen des Wartens und der quälenden Untätigkeit ab. Es ist also gerade etwas wie im Krieg.
Außerdem muss ich an meine Großeltern denken, an das Phänomen der Gleichzeitigkeit. Mein Opa konnte mir nicht sagen, wann genau der Krieg angefangen hatte. „War das 1938? Oder 1940?“ Ich, empört: „Opa! Am 1.9.1945 um 4.45 Uhr mit dem Beschuss der Westernplatte!“ Für mich ist der Krieg Historie, angeeignet aus Büchern, fein portioniert und verdaut. Für Opa und seine Generation war der Krieg ein machtvolles Ereignis, das sie plötzlich, ungebeten, ungeplant überrollte, für das sie erst einmal keinen Namen hatten, das sie durch seine Symptome ganz allmählich in seiner Tragweite begriffen. Sie waren gerade auf einer Fahrradtour gewesen. „Plötzlich standen Flakgeschütze neben den Brücken, und als wir uns an einem Imbissstand eine Wurst kaufen wollten, fragte der Verkäufer nach unseren Lebensmittelkarten.“
Etwas von diesem Phänomen der Gleichzeitigkeit spüre ich je auch. In schneller Abfolge reiht sich ein Ereignis an das nächste. Amerika macht die Grenzen dicht. Veranstaltungsverbot in meiner Stadt. Nur noch fünf Trauergäste bei Beerdigungen zugelassen in der nächsten. Dreißig Gäste bei Hochzeiten in der übernächsten.
Und das ist ja alles erst die Ouvertüre.
Aber, mal ehrlich: Es ist hart und ungewohnt, aber es bringt niemanden um. Doch es lässt eben ahnen: Von nun an wird das Leben sich eine Zeitlang etwas anders anfühlen. Ich werde nicht mehr immer wissen, was morgen sein wird, was morgen noch möglich sein wird.
Für das menschliche Bewusstsein hat das etwas außerordentlich Kränkendes. Und es verunsichert natürlich. Ein ganz bunter Strauß von Reaktionen wie Abwehr, Rückzug, Verängstigung und Verunsicherung ist die Folge. Und wir mittendrin.
Um so wichtiger ist es mir in der kommenden Zeit, immer einmal wieder inne zu halten, durchzuatmen und mir bewusst zu machen: Was passiert hier gerade? Ohne mich der Illusion hinzugeben, dadurch einen Überblick über die Ereignisse gewinnen zu können. Der kommt erst mit den Geschichtsbüchern.

Was kann ich von Corona lernen?

Aktuell nehme ich zwei Arten von Reaktionen auf den Coronavirus und seine Folgen für unser Leben wahr: Die einen halten das alles für Hysterie und verweigern sich einer weiteren Beschäftigung mit dem Thema. Die anderen machen sich viele Sorgen, vor allem um sich selbst und die anstehende Veränderung ihrer Lebensumstände.

Ich selbst nehme wahr, dass ich mal in die eine, mal in die andere Richtung mitgezogen werde. Letztendlich lässt es sich aber nicht leugnen: Corona wird mittelfristig Einfluss auf unser Leben haben. Wie das genau aussehen wird, kann niemand sagen. Aber es wird kommen: Es geschehen Dinge mit uns, die wir nicht gewählt haben, denen wir nicht zugestimmt haben. Das hat natürlich auch etwas Kränkendes – neben der Bedrohung, die im Raum steht.

Ich selbst entstamme einer Generation, die einerseits diese Art von Einschränkungen niemals erleiden musste. Kein Krieg, keine Katastrophe, keine Epidemie. Andererseits haben wir massenweise Filme konsumiert, die alll dies in den krassesten Farben ausmalen.
Wir haben also ein Bild, ein mögliches Szenario vor Augen. Halten uns deshalb wohl heimlich für sachkundig. In der Praxis sind wir es aber nicht. Wir wissen nicht, wie es ist, Hunger zu haben, die Wohnung nicht verlassen zu dürfen, mit eingeschränkter ärztlicher Versorgung zu leben, vielleicht einmal keine Hilfe zu bekommen, die wir für uns selbst oder Familienangehörige dringend benötigen.

Das Thema weckt extreme Emotionen. Das wird in der kommenden Zeit natürlich exponentiell zunehmen, wenn die Anzahl der Infizierten und Todesfälle stark zunimmt, wenn Einschränkungen im Alltag auftauchen. Man wird sich gegenseitig nicht mehr immer nur seine Zuckerseite zeigen. Und auch das wird Folgen haben.

Ich möchte aber nicht immer nur das Negative sehen, die Einschränkungen und Ängste fokussieren. Sondern mich auch einmal hinsetzen, einen Tee trinken und mir bewusst machen, wo in all dem auch eine Chance liegt. Wo werden mir durch Corona die Grenzen meines aktuellen Denksystems aufgezeigt? Auf was in meinem Leben kann ich getrost verzichten – auf Gewohnheiten, Konsum, vielleicht auch nichtssagende Kontakte? Was ist andersherum das, was trägt, was meinem Leben Sinn, Bedeutung, Farbe gibt?

In der kommenden Zeit werde ich gemeinsam mit anderen Menschen viele Entscheidungen treffen müssen. Als Pastor stellt sich die Frage, wie wir als Gemeinde auf aktuelle Entwicklungen reagieren. Wie es uns gelingt, auch weiterhin unter den aktuellen Gegebenheiten eine Form von Gemeinschaft zu pflegen, die Menschen Halt und Sicherheit gibt, ohne dass es dabei zu unnötiger gesundheitlicher Gefährdung kommt. Als Familienvater geht es darum, füreinander zu sorgen und positiv in die Zukunft zu blicken. Und als Sohn und Schwiegersohn schließlich steht es an, gefährdete Menschen zu schützen und vielleicht auch einmal zu versorgen, zu begleiten.

All diese Aufgaben sind lösbar. Sie machen mir keine Angst – Stand jetzt. Sie unterscheiden sich nicht wesentlich von dem, was Millionen von Menschen in der kommenden Zeit zu bedenken und zu entscheiden haben. Mir ist es dabei wichtig, nicht nur Fragen abzuarbeiten, sondern mir auch die tiefere spirituelle Dimension dahinter bewusst zu machen. Durch die Reflexion wird die Begebenheit zur Erfahrung. Ich kann nicht sagen, dass ich mich auf die anstehenden Erfahrungen freue. Aber ich sehe ihnen hoffnungsvoll und auch etwas gespannt entgegen. All das, was Teil davon sein wird, ist immer schon Teil des Lebens: Trauer und Freude, Angst und Hoffnung, Einsamkeit und Gemeinschaft, Aktion und Reaktion. In der kommenden Zeit werden wir also so etwas wie verdichtetes Leben erfahren: Das, was sowieso schon immer da ist, wird uns sehr viel schneller und intensiver begegnen. Das kann natürlich schnell zu Überforderung führen. Um so wichtiger ist es für mich da, immer wieder inne zu halten und mir bewusst zu machen, was da gerade geschieht und was es für mich bedeutet.

 

Sprachlos

Es ist nicht immer die Zeit der großen Worte. Auch schreibe, rede, formuliere ich an anderen Stellen und bei so vielen Gelegenheiten derart viel, dass für diesen Platz einfach oft nicht mehr viel übrig ist.

Aber es geht ja auch anders. Also von nun an weniger Wort, mehr Bild. Und nach wie vor alles selbstgemacht.

Piraten

Also ich freue mich ja für Berlins Piratin und Piraten. Auch wenn sie „uns“ sicher viele Stimmen entführt haben – was soll’s.

Auf ihrer Pressekonferenz – buntes Durcheinander, semiprofessionelles Auftreten. Sympathisch. So ist es eben, wenn man plötzlich 8,9 Prozent hat.

Ich bin heilfroh, dass damals im April, als wir von null auf 13,9 Prozent katapultiert wurden (bei der Länge der Liste hatten wir jedoch besser vorgearbeitet), keine Presse anwesend war. Denn ich bin ebenso breit grinsend durch die Gegend gestolpert, habe ebenso blöd aus der Wäsche geschaut – wie eine Kuh beim Gewitter.

Was jetzt kommt – ja, das hatten wir  damals auch: Sich orientieren, lernen, Lehrgeld zahlen. Zu jedem Thema sofort eine Meinung haben. Komplexe Zusammenhänge schnell erfassen. Anfangs über den Tisch gezogen werden. Sich schwören, dass das nicht wieder passiert. Was mit der Zeit dann auch Realität wird.

Politik ist faszinierend. Anders als das, was man sonst so kennt. Wenn man bei den Themen bleibt, wenn man sich immer wieder neu sagt, dass es um Leidenschaften, Überzeugungen, Inhalte geht und nicht um Macht – dann hat man eine einigermaßen gute Chance, nicht zum Gesinnungsmonster zu verkommen. Ansonsten wird man ganz sicher an sich selbst verzweifeln.

Wenn die Piratin und die Piraten das beherzigen – und ich wünsche es ihnen sehr – dann können sie eine sehr interessante und relevante Zeit erleben.

Meine erste „Ausstellung“

Das heimische Wohnzimmer muss ein paar Wochen auf sie verzichten. Vielleicht auch, Dawanda sei Dank, für immer?

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